Instinct | Reason
Instinkt versus Vernunft, Leidenschaft versus Logik, Natur versus Technologie . Die kommende Mode-Saison Herbst / Winter 2012/2013 reflektiert das Werden und Vergehen, das das Voranschreiten der Zeit mit sich bringt: Ein Hinschauen auf die Trends der Mode mit einer von Ethik geprägten Sensibilität, das das wirklich Authentische prämiert, aber gleichzeitig unser Alltagsleben non-konformistisch versteht und sehen will. Zwei nebeneinander existierende Haltungen, die am Ende gar nicht so unvereinbar sind, wie es scheinen könnte: zum einen ein zunehmend ungezwungenes Kokettieren mit der virtuellen Wirklichkeit und der digitalen Ästhetik, mit der geschaffen wird, und zum anderen der Wunsch, sich von der Masse abzuheben und künstlerische Schaffenskraft triumphieren zu lassen, ohne dass dabei sinnliche und träumerische Weiblichkeit zu kurz kommen muss.
Die Mode in der kommenden Saison spielt auf die arbeitende, energische Frau mit Sinn für das Praktische an, die ihre urbane Kleidung mischt mit Basics, die mal klassisch, mal sportlich, mal dynamisch und auch funktional sind. Der Dreh-und Wendepunkt: Ein obsessiver Hang zu glatten Stoffen, Druckstoffen mit Tiermustern bzw. technischen Stoffen, die dank ihrer Dichte und Stärke auf sehr einfallsreiche Weise Volumen schaffen lassen, teils in mehreren Bahnen übereinander oder gewickelt getragen.
Instinct
Der stärkste Instinkt des Menschen ist der, der dem Herzen entspringt und der Kontrolle durch unser Bewusstsein entgleitet. Symbolisch gesehen geht es in der Mode dieser Saison um das Eingenommen werden von einem mystischen Weg der Öffnung und Annahme der Energie des Universums, des Geheimnisses, das wir alle in uns tragen und welches auch in der Natur und der Welt als Ganzem ruht. Dem Herzen Afrikas, das als das kollektive Unbewusste betrachtet wird, immer näher kommend, dem uralten dunklen Herzen entgegen, das im Zentrum der Welt fortdauert. Auf dem Modesteg wird die Annahme des Primären in unserem Innersten ausgelotet. Mit Macht bricht hier der Drang durch, zurückzukehren zu einem natürlicheren Leben, durch welches die Fortdauer aller Lebewesen gesichert werden kann. Leben in Askese, mystische und esoterische Rituale, das Wiederentdecken alter Kulturen. Inuit-Volksgruppen, Ureinwohner, Derwische. Heidnische Kulte, Pantheismus, die Anima mundi. All dies beeinflusst und prägt die Geburt neuer Tendenzen in unserer Kultur, Gesellschaft und Mode.
Es wächst der Wunsch, wieder in Kontakt zu treten mit der Mutter Erde, mit ihrer primärsten Essenz, getragen von dem naiven aber vielleicht auch unaufhaltsamen Gedanken wieder zurückzukehren zu den Wurzeln unserer eigenen Seele. So feiern Pelze mit Fransen ihre Rückkehr, Federn aus der Mongolei, dicke Wollgarne und rauhes Leder. Bei den Accessoires findet die Kraft der archaischen Symbole und Fetische ein Comeback. Fossile Muscheln, Horn und Elfenbein sind in vielfältigen Formen vorhanden, ebenso wie unheimliche und alchimistische Farben: Düsteres Schwarz, dem es an Farbe und Licht fehlt, erobert die Dunkelheit der Eisenzeit wieder. Auch das Kobaltblau kommt zurück, sowie Henna und als Kontrapunkt lichtes Weiss, das die vollkommene Reinheit des nicht in Farben gebrochenen Lichts darstellt....
Reason
Die Vernunft sucht logische Ordnung zu schaffen in einem Leben, das uns bisweilen auf seinem chaotischen Vorwärtsweg aus den Händen entgleitet. Hin zu einer absoluten Wahrheit zu gelangen, in der die unkontrollierte Weiterentwicklung der Gesellschaft Ruhe finden kann. So wie das winterliche und dekadente Japan, das uns der bewunderswerte Fotograf Nobuyoshi Araki zu zeigen versucht. Denn keine Gesellschaft vermag es treffender als die japanische, die Zweiteilung zwischen technologischem Zenit und Niedergang der industrialisierten Gesellschaft aufzuzeigen. So kommt es, dass die Schönheit der Vernunft sich mit vermessener und gleichzeitig trauriger Sensibilität einkleidet. Die Mode lässt sich überfluten von einem rohen Realismus, der im Kontrast mit dem Romantischen zunimmt. Die fernöstliche Dekadenz ist auch der Niedergang des Abendlandes, das weichende Licht, die dunkle Atmosphäre. Bezugspunkt ist hier eine erlöschende, an Licht verlierende Natur, melancholische Gemütszustände, verwandelt in Schönheit neben Wintergärten mit eleganten und zarten Blumen. So sieht man auf dem Modesteg erneut klassische Stoffe und orientalische Stickereien, jedoch jeweils dem Zeitgeist der Pop-Ära und dem technologischen Fortschritt angepasst.
Trench-Kimonos, Patchwork-Stickereien, unreguläre Falten und Drappiertes. Seide sowie andere leichte Stoffe mit Applikationen und sehr avangardistischen Verarbeitungsprozessen. Kunst- und Naturleder, mit Beschichtungen und chemischen Polierverfahren bearbeitet. Streifen, geometrische Druckmuster, Blumenstickereien in sanften Farben sowie Strickstoffe. Die Moderne gelangt zur Reife und schaut mit bekümmerter Nostalgie auf die Vergangenheit. Auf der Farbskala verlieren satte Farben an Gewicht und schaffen Platz für klare Rottöne wie Deepred oder Salbeipulvergrün wie auch farbloses Schwarz, das dem Gemütszustand einer in chaotischer Dekadenz begriffenen Gesellschaft, Ausdruck verleiht.